Hier finden Sie einen kurzen Überblick über die Ergebnisse der Onlineumfrage, die von April 2024 bis Juli 2024 im Rahmen des Projekts „Das Meidlinger L in den Köpfen der Wiener*innen“ am Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaft durchgeführt wurde.
Über 4000 Personen haben sich die Zeit genommen, unsere Onlineumfrage vollständig zu beantworten. Daher steht uns für die Analyse eine solide Datengrundlage zur Verfügung. Wir möchten uns hier bei allen, die mitgemacht haben, herzlich bedanken!
Neben dem eigentlichen Hörexperiment war ein demographischer Fragebogen Teil des Experiments. Dabei wurden allgemeine Informationen zu den Teilnehmenden erhoben. Für ein Experiment wie dieses ist wichtig zu wissen, welcher Teil der Bevölkerung in den Antworten abgebildet ist. Auszugsweise präsentieren wir hier mit dem Alter und der Herkunft der Personen in unseren Daten zwei interessante Eigenschaften.
Abbildung 1: Altersverteilung der Teilnehmenden. Jeder Balken fasst fünf Jahrgänge zusammen.
Wie in der obigen Abbildung 1 dargestellt, haben nach eigenen Angaben Personen aller Altersgruppen an der Studie teilgenommen. Tendenziell haben mehr Personen mittleren Alters teilgenommen: Der Median liegt bei 45 Jahren, die Hälfte aller Personen gab an, zwischen 35 und 57 Jahren alt zu sein. Es freut uns sehr, dass ein so breites Publikum an unserer Studie teilgenommen hat!
Abbildung 2: Derzeitiger Lebensmittelpunkt nach österreichischen Bundesländern.
Bei der Frage nach dem derzeitigen Lebensmittelpunkt ergaben die Antworten, dass dieser für die meisten Teilnehmenden in Wien liegt, wie in Abbildung 2 dargestellt. Das verwundert angesichts des spezifisch Wienerischen Themas nicht. Das unmittelbar benachbarte Niederösterreich wird dahinter am zweithäufigsten genannt. Aus den anderen sieben Bundesländern Österreichs zusammen kamen ähnlich viele Antworten wie aus Niederösterreich. Schließlich gaben noch etwas mehr als 200 Personen an, ihren Lebensmittelpunkt nicht (mehr) in Österreich zu haben.
Abbildung 3: Gefühlte Zugehörigkeit innerhalb Wiens
Das Meidlinger L wird dem Namen nach einem ganz bestimmten Wiener Bezirk zugeordnet. Daher bekamen alle, die angegeben haben in Wien aufgewachsen zu sein oder dort ihren Lebensmittelpunkt zu haben, zusätzlich die Frage gestellt, welchem Bezirk sie sich innerhalb Wiens zugehörig fühlen. Das betrifft etwas mehr als 3000 Personen, Mehrfachantworten waren möglich. Wie aus Abbildung 3 ersichtlich, ist Meidling bei dieser Frage der Spitzenreiter bei den erwähnten Wiener Gemeindebezirken, aber auch die anderen sind gut vertreten.
Zusammenfassend heißt das: Wenn wir mit den Ergebnissen des Hörexperiments das Meidlinger L in den „Köpfen“ betrachten, dann ist dieses Bild vorwiegend jenes von Wienerinnen und Wienern im mittleren Alter.
Beim Hörexperiment war in den einzelnen Tonbeispielen jeweils ein Wort mit dem Laut L zu hören. Jedes der zwölf Wörter kam insgesamt dreimal vor, jedes Mal mit einer anderen Variante von L. Insgesamt bestand das Experiment also aus 36 Hörbeispielen. Für die Fragestellung unserer Studie war nun interessant, welche der drei L-Varianten als Meidlinger L wahrgenommen wurde. Hier werden die drei Varianten kurz mit einem Beispiel zum Nachhören vorgestellt.
Die erste Variante ist das in der Phonetik als alveolar bezeichnete [ l ], bei dem mit der Zungenspitze ein Verschluss am Oberkiefer knapp hinter den oberen Schneidezähnen gebildet wird. Dies ist das L der hochdeutschen Standardaussprache.
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Die zweite Variante wird als retroflex bezeichnet und im Internationalen Phonetischen Alphabet mit dem Symbol [ ɭ ] dargestellt. Bei dieser Variante ist die Zungenspitze zum Gaumen hin zurückgebogen. Das retroflexe [ ɭ ] kommt laut Fachliteratur im Wiener Hochdeutsch nach bestimmten Lauten wie O, U, B, P und F vor, aber auch im Steirischen Dialekt, z.B. im Wort „wild“, wenn es dort „wüld“ ausgesprochen wird
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Die dritte Variante des L ist das velarisierte [ ɫ ]. Neben dem Verschluss mit der Zungenspitze am Oberkiefer wie beim alveolaren [ l ], der ersten Variante, wird hier der Zungenrücken in Richtung Rachen oder weicher Gaumen zurückgezogen. Dieses velarisierte [ ɫ ] wird von der Fachliteratur als Kennzeichen des Wiener Dialekts berichtet. Neuere Studien zeigen, dass es auch in nieder- und oberösterreichischen Dialekten weit verbreitet ist.
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Es gibt aus der bisherigen Forschung guten Grund anzunehmen, dass im Wiener Sprachgebrauch zwischen Hochdeutsch und Dialekt alle drei Varianten gebraucht werden. Die zentrale Frage bei unserer Studie ist nun:
Welche der drei Varianten wird mit dem Begriff Meidlinger L in Zusammenhang gebracht?
Für jedes der 36 Hörbeispiele aus dem Experiment war auf einer Skala von 0 bis 100 zu bewerten, wie sehr das L nach dem Meidlinger L klingt. Für die Auswertung hat das den Vorteil, dass wir nicht nur ein kategorisches „Ja“ oder „Nein“ bekommen, sondern einen feiner abgestuften Eindruck. Die wichtigste Frage für unsere Studie ist, ob zwischen den drei oben vorgestellten Varianten ein Unterschied besteht. In der folgenden Abbildung 4 ist die durchschnittliche Bewertung für alle drei Varianten abgebildet. Wie daraus zu sehen ist, bekam das velarisierte [ ɫ ] die höchsten Bewertungen und das retroflexe [ ɭ ] deutlich höhere Bewertungen als das alveolare [ l ].
Abbildung 4: Durchschnittliche Bewertung der drei Varianten als "Meidlinger L"
Diese Unterschiede zwischen den Varianten sind auch statistisch signifikant, d.h. es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Unterschiede in den Bewertungen zufällig zustande gekommen sind. Wir können daher mit großer Zuversicht festhalten:
Der velarisierte Lateral [ ɫ ] wird, im Vergleich zum alveolaren Lateral [ l ] und dem retroflexen Lateral [ ɭ ], am stärksten als Meidlinger L wahrgenommen.
Dieses Ergebnis zeigt aber auch, dass das retroflexe [ ɭ ] eher als Meidlinger L wahrgenommen wird als das alveolare [ l ]. Da auch das retroflexe [ ɭ ] in Wien vorkommt, erscheint es nicht verwunderlich, dass es eher als Meidlinger L empfunden wird als das überregionale, allgemeingültige alveolare [ l ] der hochdeutschen Standardaussprache.
Im Rahmen des Spezialforschungsbereichs „Deutsch in Österreich“ entstand ein zweiteiliger Blogbeitrag von Agnes Kim, Jan Luttenberger und Carolin Schmid zur Frage, was das Meidlinger L sei. Im ersten Teil des Blogs wird die Variation des Lautes L in Österreich besprochen: https://www.dioe.at/en/article/2744
Der zweite Teil des Blogs geht auf sprachhistorische Fragen zum Begriff Meidlinger L ein: https://www.dioe.at/artikel/2792